Roter Teppich, Popcorn und zehn kreative Filme, einer besser als der andere. Beim diesjährigen COGFilmfest beeindruckte insbesondere die große Vielfalt an Kurzfilmen. Zudem wurde zum ersten Mal der beste Film des COGFilmfests mit der "Goldenen Ushi", die eine Mischung aus Oscar, Barbie und Uschi Glas ist, vom Publikum gewürdigt. Das Filmangebot des Abends erstreckte sich von einem Videotagebuch des günstigen Parisurlaubs über das Musikvideo zu "Freaky" von INPUT feat. Cali-M (alias Herr Schmidt) bis hin zu dem packenden Endzeitfilm "Reliance", der sogar Steven Spielberg gefallen würde. Das sah das Publikum genauso und wählte bei der anschließenden Wahl des "Goldenen Ushi"-Preises "Reliance" mit Abstand zum Sieger.
Michael Hoang (Q12)
„Reliance“ von Vincent Schäffer und Moritz Halupczok – ein echter „Eye-Catcher“
Kein einziges gesprochenes Wort, als wäre mit dem Untergang der Zivilisation auch die Sprache verloren gegangen… Die narrative Funktion übernimmt nunmehr die Sprache der Dinge, der großen wie kleinen Gesten und der Blicke, auf die sich der Betrachter einlassen muss. Es ist auch das durchweg überzeugende Szenenbild: Die eingefallene Baracke im undurchdringlichen Wald, welcher nach gut romantischer Tradition düster und geheimnisvoll gezeichnet wird. Gegen dieses Bild wird die einzige Fluchtmöglichkeit, das chromblitzende Motorrad, kontrastvoll inszeniert. Wir folgen dem Protagonisten durch ein Endzeit-Nirgendwo, und weil wir nicht wissen, woher er kommt und wohin er geht, zählt nur der Augenblick.
Es ist ein typischer „Jungens-Film“ durch die Accessoires, die alle großen und kleinen Jungens mit ausreichender Testosteron-Produktion zu faszinieren scheinen: Fette Wummen, scharfe Klingen, schweres Motorad, Funktionsklamotten, Ranpirschen und Versteckspielen mit gleichgesinnten harten Kerlen, ein ernstes Spiel inklusive Schauder vor unfassbarer Grausamkeit und Tod.
Man erkennt unzählige Action-Genre-Versatzstücke, eine frische Mischung aus Spät-Western wie „The Good, the Bad and the Ugly“, aus Roadmovies wie „Easy Rider“ und Endzeit-Trash wie „Mad Max II“ oder „Sin City“.
Wie Moritz Halupczok auf dem COG.Filmfest betonte, war eine entscheidende Inspirationsquelle wohl auch die Lektüre der Gruselnovelle „Der Sandmann“ von E.T.A. Hofmann im Deutsch-Unterricht. Daher also das Augen-Motiv!
Einen wahren Augenschmaus für Cineasten bietet der virtuose Einsatz der Kamera in Gestalt von reizvollen Schärfeverlagerungen, es ist außerdem die präzise filmische Auflösung der Kameraeinstellungen, bei der die Montage schon implizit mitgedacht wurde, mit konsequenter Verfolgung und instinktiv richtiger Umsetzung von Emotionszielen. So entsteht eine fesselnde Atmosphäre – nicht zuletzt auch durch präzise Tontechnik, professionell abgemischt aus Original-Atmo, Foley-Geräuschen, bestens unterstützt von mitreißendem Hardrock und beklemmender atonaler Psychomusik.
Bemerkenswert ist vor allem die Regieleistung in der klugen Führung der gut gecasteten Schauspieler Lorenz Burger und Tim Groß, die so angenehm zurückhaltend spielen, dass Herr Kuleshov, der Erfinder und Verteidiger des unbewegten Filmgesichtes, seine wahre Freude daran hätte. Jede Figur bietet neben einer gut umrissenen Charakterzeichnung auch genügend Projektionsfläche für den Betrachter. So bleiben die Figuren bis zur letzten Einstellung offen und geheimnisvoll, sodass die Idee des Plot-Twist am Ende seine verstörende Wirkung entfalten kann.
Man merkt vor allem an den Kampfszenen mit den akrobatischen Stunts, dass die Jungens vor und hinter der Kamera großen Spaß hatten und ihr ganze Energie in die Bilder werfen.
Das Töten und Verstümmeln erscheint glücklicherweise nicht übermäßig „explicit“ im Sinne der inzwischen fast alltäglich gewordenen „Pornographie der Gewalt“, sondern wird nur angedeutet, sodass der Film im Kopf weitergehen kann und nur noch die Vorstellungen davon unfassbar unerträglich werden. Gibt es am Ende nicht doch noch eine Botschaft, die vielleicht noch einen Funken Hoffnung auf Überleben in irgendeiner Form von Mitmenschlichkeit nähren könnte? Oder wird unser unsterblicher Held am Ende doch noch „dran glauben müssen“? Das lässt „Reliance“ zum Glück offen! Vielleicht gibt es eine gut versteckte „Moral von der Geschicht“, die auch in den guten alten Schauermärchen immer geschickt verschlüsselt wurde: Traue Deinen Augen nicht, denn „Der Sandmann“ lauert überall. Egal wie gut Du gegen den schlimmsten Gegner, deine Angst, kämpfst, sie wird Dich immer wieder überraschen. So wie Vincent Schäffer und Moritz Halupczok Angst thematisieren, verliert sie weder von ihrer Bedrohlichkeit noch bleibt sie unüberwindbar. Sie zeigen mit ihrem Film ein großartiges Beispiel für „Self-Reliance“, auf deutsch: Eigenständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Selbstvertrauen. Deshalb sind sie die verdienten Sieger des Publikumspreises des diesjährigen COG.Filmfestes, der „Goldenen Ushi“. Chapeau, weiter so!
Dirk Meitzner (Lehrer)
Presseberichte
Münchner Merkur, 26.01.2015 |
Süddeutsche Zeitung, 23.01.2015 |